Das
Abitur – ein Grund zur Randale?
200 Abiturienten randalieren in Köln:
Zwei Schwerverletzte. – Da haben Schüler die Möglichkeit, Abitur zu machen, was
nicht jedem gegeben ist und wofür einige unserer Großväter noch bezahlen
mussten – und sie randalieren! Warum, es wäre doch eigentlich an den Schülern,
die kein Abitur machen können, wütend darüber zu sein. Oder nicht?
Damals habe ich mich fürs Gymnasium
entschieden, weil man mit dem Abitur die Möglichkeit hatte, zu studieren, und
ich mir diese Option offen halten wollte, und weil meine Freunde auch aufs
Gymnasium gingen. Was ich damals nicht wusste, war, dass ich damit gleichzeitig
akzeptierte, auch einige Stunden meiner Nachmittage zu opfern, da das Abitur
ganz einfach bedeutet, dass die Schüler mehr lernen müssen. Während Haupt- und
Realschüler ihre Nachmittage auf dem Bolz- oder Fußballplatz oder mit einem
Hobby verbringen können, musste ich mir Zeit freihalten, um Sprachen,
Geschichte, Flöte und Mathematik zu lernen.
Auf der anderen Seite gab es mir auch
etwas: Mit 14 griff ich nach dem Kochbuch, um das, was ich von meiner Mutter
gelernt hatte zu perfektionieren, mit 15 übte ich mich mit der Kreation eigener
Pullover, nachdem ich in der Familie das Stricken gelernt hatte und nähte meine
eigenen Röcke, da ich die Faltenröcke, die meine Mutter mir andrehen wollte,
nicht mochte.
Auf der anderen Seite lernte ich auch
sehr schnell, dass es verschiedene Gruppen in der Klasse gab, je nach Herkunft
und sozialem Status der Eltern, und das Frau besser daran tat, nicht hinter
einer Gruppe herzulaufen, die einen nicht haben wollte. Das konnte psychische
Probleme nach sich ziehen. Da meine Mutter Flüchtling war, hatte ich Probleme
mit den Einheimischen, deren Eltern eine hohe Position hatten. Daher hielt ich
mich an meine „eigenen Leute“ und da die Flüchtlingskinder aus den ehemaligen ostdeutschen
Gebieten sehr aufrechte und fleißige Menschen waren, war ich damit nicht einmal
in schlechter Gesellschaft.
Allerdings gab es auch da Unterschiede:
Während meine Klassenkameradinnen, die aus gut situierten Familien kamen, in
den Ferien Urlaub oder Sprachkurse im Ausland machten, und so ihre
Sprachkenntnisse verbesserten, musste ich mir kostenlose Möglichkeiten suchen,
in dem Konkurrenzkampf zu bestehen. Also nahm ich an internationalen sozialen
Projekten teil, und da zu meiner Zeit der Wiederaufbau von gemeinnützigen
Gebäuden angesagt war, verbrachte ich meine Sommerferien in sozialen
Brennpunkten im In- und Ausland. Ich lernte Häuser renovieren, Kabel verlegen,
für große Gruppen kochen und verschiedene Sprachen und baute mir, sozusagen als
Nebeneffekt, ein internationales Netzwerk auf. Dies erlaubte es mir, nach dem
Abitur erst einmal ins Ausland zu gehen.
Hatte ich Lust zu randalieren? Nein,
eigentlich nicht. Schwere körperliche Arbeit wie Holzbohlen schleifen oder
Kabel verlegen beruhigt ungemein die Nerven und reichte bei mir für das ganze
Jahr. Wer allerdings Action brauchte, konnte an Demonstrationen gegen
Atomkraftwerke teilnehmen, sich an den Aktionen der ehemaligen Friedensbewegung
beteiligen oder sich an Bahngleise anketten lassen, um die Castor-Transporte
aufzuhalten.
Natürlich gab es die Drogenszene und
viele gingen auch in Discotheken, aber eigentlich waren die Gymnasiasten damals
eher eine ruhige Gruppe. Die Demonstrationen 1968 hatten dafür gesorgt, dass
wir eher Lust hatten zu arbeiten, anstatt endlos zu diskutieren.
Allerdings weiß ich nicht, welches Überraschungsei die heutige Generation von Lehrern und
Pädagogen präsentiert bekommt.
Unseres bekamen wir im letzen Jahr vor
dem Abitur, in dem unser Jahrgang in einen abgedunkelten Raum gebeten wurde,
und uns dort der Schwarz-Weiß-Film gezeigt wurde, den die Amerikaner bei der
Befreiung des KZ Auschwitz gedreht hatten.